Die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) ist äußerst besorgt über aktuelle Tendenzen zur Legalisierung des „assistierten Suizids“ und gibt daher anlässlich des Welttags der Suizidprävention am 10.9.2020 folgende Stellungnahme ab

In der Diskussion zur Sterbe- und Suizidhilfe kommen aus Sicht der ÖGPP die psychischen Aspekte und die psychiatrisch-psychotherapeutische Expertise zu diesem Thema zu kurz.

Todeswünsche können Ausdruck behandelbarer seelischer Erkrankungen wie Depressionen sein. Auch viele Menschen, die an einer schweren somatischen Erkrankung leiden, verarbeiten diese depressiv, wobei zu bedenken ist, dass Depressionen mit kognitiven Einschränkungen vor allem im Bereich der Entscheidungsfähigkeit einhergehen können.

Als PsychiaterInnen sind wir in unserer täglichen Arbeit mit Todeswünschen von PatientInnen vertraut. Im gesellschaftlichen Diskurs wird allerdings oft ausgeblendet, dass der Wunsch zu sterben üblicherweise keine endgültige Entscheidung ist, sondern als Ausdruck von Angst und Ambivalenz in hohem Maße fluktuiert. Angesichts der manchmal wochen- oder monatelangen Phase, bis eine depressive Symptomatik sich gebessert hat, stellt sich die Frage nach der Zeitspanne, die zwischen der Äußerung nach Suizidhilfe und einem legalen Umsetzen derselben verstreichen müsste. Dass diese Diskussion bisher kaum je profund geführt wurde, lässt darauf schließen, dass diese Problematik offenbar nicht adäquat erkannt wird.

Der Wunsch nach Suizidhilfe in einer subjektiv ausweglosen Situation entsteht häufig aus der Angst vor dem Ausgeliefertsein – vor unbeherrschbaren Schmerzen, vor dem Ersticken und der Einsamkeit. Bereits durch die Vermittlung von Wissen um die Möglichkeiten der Palliativmedizin relativiert sich dieser Wunsch bereits in vielen Fällen.

In Ländern wie Belgien und den Niederlanden, in welchen das Recht auf assistierten Suizid gesetzlich verankert wurde, sind die geforderten Kriterien der "Unerträglichkeit des Leidens" und der "fehlenden Aussicht auf Besserung" äußerst subjektiv, von äußeren Einflüssen abhängig und oft nicht dauerhaft. Als Gründe für den Wunsch nach vorzeitigem Tod werden dort sogar Arbeitslosigkeit, Partnerlosigkeit, finanzielle Probleme und ähnliches angegeben – Probleme, auf welche die Erfüllung des Todeswunsches wohl kaum die adäquate Antwort eines hochentwickelten Staatswesens sein kann. Untersuchungen in diesen Ländern zeigten, dass ein relativ großer Anteil der Personen, denen die Suizidhilfe bewilligt wurde, diese dann gar nicht in Anspruch nahmen. Es scheint also unter anderem häufig auch um das das Gefühl der Selbstermächtigung zu gehen. Genau diese ist ein zentrales Ziel der psychiatrisch- psychotherapeutischen Behandlung.

Die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) hat daher bereits im Jahr 2017 ein Positionspapier zum Thema Sterbe- und Suizidhilfe in Österreich herausgegeben und sieht es als zentrale Aufgaben ärztlichen Handelns, Menschen bei der Überwindung von Lebenskrisen zu unterstützen.

Hilfe bei der Umsetzung von Sterbewünschen kann aus Sicht der ÖGPP grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe sein. Die ÖGPP lehnt daher eine Änderung der gesetzlichen Situation in Österreich zum Thema Sterbe- und Suizidhilfe ab und vermisst in der Diskussion ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Verständnis für Menschen in Krisensituationen. Die vorrangige ärztliche und therapeutische Aufgabe muss es sein, Behandlungsmaßnahmen auch zur leichteren Erträglichkeit schwerer Erkrankungen und des Sterbeprozesses engagiert einzusetzen und die Palliativmedizin in Österreich in allen Fachbereichen zu stärken.

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