Sehr geehrter Herr Dr. Dichand,

in der Ausgabe der Kronen Zeitung vom 4. September 2019 findet sich ein Artikel von Peter Grotter unter dem Titel „Wie psychisch Kranke zur Gefahr werden!“, wobei bereits Überschrift und Aufmachung des Beitrags die Gefährlichkeit psychisch Kranker in eklatanter Weise hervorheben.

In dem Artikel werden an Hand von spektakulären Einzelfällen Gewalttaten psychisch Kranker auf eine Weise thematisiert, die aus Sicht des Vorstands der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) nicht nur fachlich unkorrekt, sondern auch erheblich stigmatisierend ist. Fragwürdig ist es aus unserer Sicht auch, dass ohne jeglichen inhaltlichen Zusammenhang wieder einmal ein Bild aus dem Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ als Beispiel für den Wandel der Psychiatrie (?) herhalten muss.

Die ÖGPP vermisst in dem Artikel vor allem die wesentliche Information, dass nur ein äußerst geringer Teil psychischer kranker Person Gewalttaten im Zusammenhang mit der Erkrankung begeht. Gewalttaten psychisch Kranker stehen übrigens weniger mit bestimmten Diagnosen, sondern in erster Linie mit wissenschaftlich gut belegten und klar definierten zusätzlichen Risikofaktoren in Zusammenhang. Psychisch Kranke sind somit üblicherweise nicht gefährlich bzw. nicht gefährlicher als andere Menschen auch.
Betrachtet man darüber hinaus die Zahl der Gewalttaten in Österreich, so stellt der Anteil psychisch Kranker eine sehr geringe Minderheit unter den Tätern dar. Dies entspricht jedoch in keiner Weise der in dem Artikel gewählten Darstellung, die aus Sicht der ÖGPP unzutreffend und verzerrt ist.

Die ÖGPP beurteilt die Art und den Inhalt dieser Berichterstattung als ausgesprochen stigmatisierend. Der Artikel ist geeignet, bestehende Vorurteile über psychisch Kranke nicht nur zu bestätigen, sondern diese noch weiter zu verstärken. Wir ersuchen Sie vor allem zu bedenken, dass Bertoffene und deren Angehörige nicht nur unter der oft sehr belastenden Symptomatik, sondern ebenso unter Ausgrenzung und Stigmatisierung leiden und dass eine entsprechend sensible Berichterstattung daher eine wesentliche Forderung (nicht nur) der ÖGPP ist.

Zu Recht weist der Leiter der Angehörigen Selbsthilfe HPE, Herr Edwin Ladinser, darauf hin, dass für die große Gruppe akut und schwer erkrankter Menschen, der Behandlungsrahmen im Rahmen des Unterbringungsgesetzes meist sehr positive Effekte zeigt. Ergänzend ist zu bedenken, dass der überwiegende Teil nach dem Unterbringungsgesetz behandelter Personen aufgrund von Selbstgefährdung an psychiatrischen Abteilungen verweilt. Nur ein geringer Teil der PatientInnen muss auf Grund von Fremdaggressivität unter diesen gesetzlichen Rahmenbedingungen behandelt werden.

Überhaupt wird im von uns kritisierten Artikel die Behandlung nach dem Unterbringungsgesetz, welche für eine relativ große Zahl von PatientInnen eine wichtige Behandlungsmöglichkeit sein kann mit der Behandlung an forensischen Abteilungen, die nur für eine geringe Zahl psychisch kranker Straftäter vorgesehen ist, auf eine Art und Weise durcheinandergebracht, die vermutlich eher zur Verwirrung als zur Information der LeserInnen beiträgt.

In dem Artikel wird überdies unterstellt, dass aufgrund „faktischer Zwänge“ oft eine zu schnelle Entlassung untergebrachter Patienten erfolge. Wenn auch in manchen Regionen strukturelle Defizite bei Räumlichkeiten und Personal vorkommen, wird doch der Entlassungszeitpunkt aus der Unterbringung nach unserer fundierten Erfahrung üblicherweise von den verantwortlichen FachärztInnen sehr sorgfältig gewählt, wobei viele Abteilungen ein aufwendiges Entlassungsmanagement praktizieren.

Wir sind im Übrigen entsetzt über die hoch stigmatisierende und pauschale Aussage des Journalisten, dass die Kranken „Psychopharmaka gern schnell wieder absetzen", was eine Beleidigung der großen Gruppe von PatientInnen darstellt, die einen kompetenten und verantwortungsvollen Umgang mit ihrer oft jahrelangen Erkrankung pflegen.

Zusammenfassend wird aus unserer Sicht an Hand extremer Einzelfälle auf fachlich unkorrekte Weise ein Problem der Gesamtversorgung konstruiert. Die ÖGPP lehnt derartig voreilige Schlüsse und Generalisierungen ab. Wir kritisieren die undifferenzierte Darstellung der Gefährlichkeit psychisch Kranker. Wir bedauern vor allem, dass durch eine einseitige Berichterstattung die LeserInnen Ihres Blattes fehlinformiert, verunsichert und - das ist unsere größte Befürchtung - in ihren Vorurteilen gegenüber psychisch Kranken bestärkt werden.

Für den Vorstand der ÖGPP

Univ. Prof. Dr. Johannes Wancata
Präsident der ÖGPP

Prim. Dr. Christa Rados 
Past President der ÖGPP



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