Unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland wurden in den Märztagen vor 80 Jahren zahlreiche österreichische Ärztinnen und Ärzte ihrer Ämter enthoben. Sie verloren ihre Ordinationen ...

... und wurden ihrer Berufsberechtigung, ihrer akademischen Positionen und Titel, sogar ihres Arzttitels beraubt. Sie wurden aus wissenschaftlichen Vereinen, aus Institutionen sowie aus allen Berufsverbänden ausgeschlossen. Unter dem Gejohle einer entmenschten Masse wurden sie zu entwürdigenden Handlungen wie den sogenannten „Reibepartien“ gezwungen, wurden vertrieben, verfolgt, entrechtet und so sie nicht fliehen konnten sehr bald in Vernichtungslager gebracht. Körperlich und psychisch wurden sie in jeder nur denkbaren Weise verletzt, geschädigt und bedroht. Zahlreiche von ihnen sowie viele ihrer Familienmitglieder wurden ermordet. Etliche wurden in den Suizid getrieben. Ähnlich erging es vielen ihrer Patientinnen und Patienten, die häufig ihre Ärztinnen und Ärzte verloren. Viele der PatientInnen wurden ebenso entrechtet und verfolgt, oft in den Suizid getrieben bzw. in Konzentrationslagern und anderen Orten der sadistischen Machtausübung gefoltert und ermordet.
Vor 80 Jahren wurden innerhalb weniger Wochen auf entsetzliche Art und Weise über 4.000 Kolleginnen und Kollegen aus dem ehemaligen Österreich „entfernt“, darunter zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie. Der allerhäufigste Grund für die Vertreibung, Verfolgung und Vernichtung war antisemitischer Hass. In einem geringeren Ausmaß waren es politische und vereinzelt auch religiöse Gründe. Die Psychiatrie hatte – neben der Pädiatrie – nach 1938 den größten Verlust an FachärztInnen zu beklagen, nämlich an die 75 %. Höchst renommierte Kolleginnen und Kollegen unseres Faches waren von diesem Prozess des Grauens nicht ausgenommen, wie beispielsweise auch Sigmund Freud, dem die Flucht vor allem durch internationale Interventionen und durch eine große Geldsumme, die von einer ehemaligen Patientin zur Verfügung gestellt wurde, möglich war. Vier seiner fünf Schwestern starben in Konzentrationslagern. Viktor Frankl verlor seine gesamte Familie, er selbst überlebte knapp. Es gab etliche Kolleginnen und Kollegen die in Konzentrationslagern verstarben.
Was dann folgte, war mit der Zwangssterilisation von über 360.000 psychisch kranken und behinderten Menschen und in weiterer Folge durch die Ermordung von mindestens 300.000 psychisch kranken und behinderten Menschen das größte Verbrechen an erkrankten aber auch an sozial marginalisierten Menschen in der gesamten Geschichte der Menschheit.
An all diesen Verbrechen waren viele Österreicherinnen und Österreicher beteiligt, darunter auch zahlreiche VertreterInnen aus unserem eigenen Fach. Die Folgen dieser grauenhaften Zeit waren für unser Fachgebiet katastrophal. Sie wirken über Stigma und Prozesse der Exklusion bis in die Gegenwart.
Die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) will mit diesem Statement insbesondere an die Opfer unter unseren Kolleginnen und Kollegen sowie unter deren Familienangehörigen und Freunden erinnern.
Schließen wollen wir mit der Präambel unserer Statuten, die in der Generalversammlung der ÖGPP am 22.04.2016 einstimmig beschlossen wurde: „Die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik ist sich ihrer besonderen Verantwortung um die Würde und die Rechte von psychisch erkrankten Personen und ihren Angehörigen bewusst. Diese Verpflichtung resultiert nicht zuletzt aus der historischen Verstrickung der Psychiatrie in Misshandlungen, Zwangssterilisierungen und Krankenmorde während der Zeit des Nationalsozialismus und aus der mangelhaften Aufarbeitung dieser Geschehnisse in den Jahrzehnten nach 1945. Die ÖGPP wird in Zukunft alles in ihrer Macht Stehende dafür tun, dass sich dergleichen nicht wiederholt.“

Für den Vorstand der ÖGPP:

Chefarzt Dr. Georg Psota
Past President

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