„Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit" (WHO)

Geschichte der ÖGPP und der Psychiatrie in Österreich

Die Geschichte der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und (ÖGPP) als jener medizinischen Fachgesellschaft, welche das Fach Psychiatrie/ Psychotherapeutische Medizin in Österreich repräsentiert, ist im Gegensatz zur Geschichte der Psychiatrie in Österreich kurz. Die ÖGPP ist eine junge Fachgesellschaft, zumindest was den Zeitraum ihrer Existenz als eigenständige Fachgesellschaft betrifft - das Gründungsdatum ist das Jahr 2000. Damals kam es zur Trennung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie und Psychiatrie in zwei selbständige Gesellschaften, nämlich in die Gesellschaft für Neurologie bzw. die Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, unser Gründungspräsident Werner Schöny ist mittlerweile Ehrenmitglied der ÖGPP.

Der Beginn psychiatrischer Identität in Österreich

Der Begriff „ Psychiatrie“ geht auf Johann Christian Reil zurück, einem deutschen Mediziner der in Halle und Berlin lehrte und zahlreiche kritische Artikel zur Versorgung psychisch Kranker am Übergang des 18. zum 19. Jahrhundert publizierte.

Die Geschichte der Psychiatrie in Österreich als medizinische Disziplin ist ebenfalls bis in das 18. Jahrhundert rückverfolgbar. 1784 wurde das erste Spezialinstitut Österreichs am Rande des Wiener Allgemeinen Krankenhauses durch Joseph II geschaffen, der Narrenturm. Wenige Jahre zuvor gab der Erfinder der Perkussion, Leopold Auenbrugger, bereits eine durchaus psychiatrische Schrift heraus : „Von der stillen Wuth oder dem Triebe zum Selbstmorde als einer wirklichen Krankheit“.

Der „Narrenturm“ schien für das ausklingende 18. Jahrhundert relativ modern, allerdings war er zu Recht bald massiver Kritik, vielfach aus dem Ausland, ausgesetzt. 1853 wurde dann die k.k. Heil- und Pflegeanstalt am Brünnlfeld, nächst dem allgemeinen Krankenhaus eingerichtet, der „Narrenturm“ damit allmählich abgelöst und ein enormer Entwicklungssprung in der Anstaltspsychiatrie vollzogen. Es folgte 1870 die Einrichtung des 1.Lehrstuhls für Psychiatrie an der 1. Psychiatrischen Universitätsklinik in Wien durch Theodor Meynert, einem der international wesentlichsten Proponenten der wissenschaftlichen, hirnorganisch orientierten Psychiatrie, an sich der Begründer dieser Ausrichtung. Sein neuroanatomisch/neuropathologischer Forschungsschwerpunkt brachte etliche bahnbrechende Erkenntnisse, gleichzeitig stand er in Konflikt zu zahlreichen Vertretern der klinischen Phänomenologie und besonders der Versorgungsplanung für psychisch Kranke. Beispielhaft wäre Ludwig Schlager hier zu nennen, der einige wichtige Beiträge zu Versorgungsstrukturen publizierte.

In der 2. Hälfte des 19.Jahrhunderts entstanden eine Reihe weiterer psychiatrischer Anstalten in Österreich, so in Linz (1867), Graz (1873), Klagenfurt (1877), sowie Salzburg (1898). Die Anstalt in Hall in Tirol bestand bereits seit 1830 und war für ihre Fortschrittlichkeit und Ablehnung von Zwangsmaßnahmen bekannt.

Der deutsche Psychiater Richard von Krafft – Ebbing wurde 1874 nach Graz berufen, wo er sowohl an der Universität als auch an der Heilanstalt Feldhof leitend tätig war. Er propagierte eine sehr auf den betroffenen Menschen bezogene Psychiatrie, war einer der Begründer der klinischen Psychiatrie und Psychopathologie und verkörperte die Verbindung von Anstalts- und Universitätspsychiatrie in seltener Weise.

In diese Entwicklungsetappe fällt auch die Gründung der ersten wissenschaftlichen Gesellschaft unseres Faches in Österreich, 1867 wurde in Wien der Verein für Psychiatrie und Forensische Psychologie gegründet.

Die Epoche bedeutender psychiatrischer Innovation in Österreich

Wie in vielen Bereichen des wissenschaftlichen und kulturellen Lebens sind die Jahrzehnte auf 1900 zu und unmittelbar danach auch in der Geschichte der Psychiatrie Österreichs Jahrzehnte bedeutsamer Innovation.

Ein Marker dafür ist die Umwidmung des erwähnten Vereins für Psychiatrie und Forensische Psychologie zum Verein für Psychiatrie und Neurologie im Jahr 1893. Im Zuge dessen wurde nicht nur die für die Erklärung schwerer psychischer Störungen bedeutsame Neuropathologie thematisiert, sondern es kamen auch Störungen in den Horizont der Psychiatrie, die ursprünglich eher der Neurologie zugeordnet wurden.

Die Nervosität, die Neurasthenie und andere benachbarte Störungen, für die neue Erklärungsmodelle zu suchen waren, sind in jenen Jahrzehnten erst allmählich in den Bereich der Psychiatrie gewandert, wurden aber im Lauf der Zeit als selbstverständliche Inhalte der Psychiatrie etabliert. Damit wurde deutlich von der medizinischen Disziplin der Anstaltspsychiatrie abgewichen und das psychiatrische Spektrum beträchtlich erweitert.

Drei Stränge der psychiatrischen Ausrichtung zeichneten sich bereits deutlich ab – die Auseinandersetzung mit den Grundlagenwissenschaften (in jener Zeit morphologisch), die öffentliche Diskussion der Strafrechts in Relation zur Psychiatrie (Forensische Psychopathologie) und die psychiatrische Versorgung.

Das war auch der Boden auf dem die beiden bedeutendsten Forscher der österreichischen Psychiatrie ihre Arbeit begannen – die beiden Zeitgenossen Julius WAGNER-JAUREGG und Sigmund FREUD, die beide aus der 2. Wiener Medizinischen Schule hervorgegangen sind und auf eine höchst unterschiedliche Weise zu den Begründern therapeutischer Grundkonzepte geworden sind. WAGNER-JAUREGG wurde durch die systematische Entwicklung der Fiebertherapie der progressiven Paralyse zu einem der Begründer der modernen Somatotherapie in der Psychiatrie, FREUD durch die Entwicklung der interpretatorischen und therapeutischen Konzepte der Psychoanalyse zum Begründer eines Denkens, das weit über die Grenzen der Psychiatrie und der Medizin hinausreicht und bedeutend geworden ist. Der eine, Wagner Jauregg, wurde 1927 Nobelpreisträger, und der andere, Sigmund Freud, wurde zum bekanntesten Arzt seiner Zeit, der die Gedankenwelt des 20. Jahrhunderts in nachhaltiger Weise mehr beeinflusste, als jeder andere Mediziner.

Die NS-Psychiatrie Katastrophe

Auf die vorangegangene Hochblüte der österreichischen Psychiatrie und Psychotherapie folgte bald die absolute Katastrophe, die Zeit der Zwangssterilisationen und der sogenannten „Euthanasie“, tatsächlich der Ermordung psychisch Kranker. Österreichische Psychiater waren maßgeblich beteiligt, als Gutachter, als Organisatoren, als Tötungsanstaltenleiter, als unmittelbare Täter.

In Hartheim bei Linz fielen dem systematischen Morden im Rahmen der sogenannten „T4 Aktion“ (in der Berliner Tiergartenstrasse 4 war die Bürozentrale) besonders viele psychisch Kranke zum Opfer, die Wiener Anstalt am Spiegelgrund war auch bei den Kindermorden besonders aktiv. Von der NS Ideologie geprägte Psychiater waren an der Macht, „Rassenhygieniker“ vollbrachten ihr verbrecherisches Werk und zahlreiche andere Psychiater wurden rassisch und/oder politisch verfolgt, verließen Österreich unter heftigen Entbehrungen oder fielen der Mordmaschinerie des NS Systems zum Opfer (so auch Sigmund Freud, dessen Emigration nach Großbritannien nur durch massive internationale Intervention möglich wurde, wobei mehrere Familienmitglieder Freuds dennoch im Holocaust umkamen).

Auf die Phase des organisierten Mordens im Rahmen der T4 Aktion folgte nach massiven Protesten von Angehörigen und vor allem von kirchlichen Würdenträgern Ende August 1941 das offizielle Ende der zentral organisierten und gesteuerten Ermordung Kranker. Es wurde danach allerdings dezentral und nicht mehr zentral gesteuert, gleichsam inoffiziell, fortgesetzt.

Bis 1945 wurden weit über 200.000 psychisch kranke Menschen, behinderte Menschen und auch Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen Opfer dieser Morde, ein erheblicher Teil davon wurde im heutigen Österreich verübt.

Die methodische und personelle Verbindung zu den Morden im Holocaust war enorm. Gegenüber all diesem unfassbaren Grauen gab es kaum nennenswerten Widerstand aus der Psychiatrie, niemals hat sich ein medizinisches Fachgebiet in irgendeiner vergleichbaren Weise gegen die ihm anvertrauten Patienten gewandt und niemals wieder darf es geschehen.

Die Geschichte der österreichischen Psychiatrie war mit der Katastrophe der NS Zeit am absoluten Tiefpunkt angelangt, es dauerte Jahre, sogar Jahrzehnte, bis sie sich von den Schatten dieser Zeit lösen konnte.

Die Entwicklung von 1945 – 1970 ist Inhalt einer umfassenden Publikation des Vereins für Sozialgeschichte der Medizin, die in wenigen Monaten in Buchform erscheinen wird. Die ÖGPP dankt für diese wichtige Arbeit, wird diese Publikation mittels Ankauf etlicher Exemplare fördern und erst dann diese historische Etappe der österreichischen Psychiatrie beschreiben. Danach wird eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Sektion Geschichte und Ethik sowie Vorstandsmitgliedern die weitere Entwicklung der österreichischen Psychiatrie bis in die Gegenwart formulieren.

Weiterführende Literatur

Chronik der Präsidenten

Prim.a Dr.in Christa Rados

Prim.a Dr.in Christa Rados

(2016 - 2019)

Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota

Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota

(2013 - 2016)

Univ.Prof. Dr. Christian Haring

Univ.Prof. Dr. Christian Haring

(2011 - 2013)

Univ.Prof. Dr. Michael Musalek

Univ.Prof. Dr. Michael Musalek

(2007 - 2011)

Univ.Prof. Dr. Christoph Stuppäck

Univ.Prof. Dr. Christoph Stuppäck

(geb. 22.08.1955 - gest. 16.06.2013)

(2005 - 2007)

Univ.Prof. Dr. Wolfgang Fleischhacker

Univ.Prof. Dr. Wolfgang Fleischhacker

(2003 - 2005)

Prof. Univ.-Doz. Dr. Werner Schöny

Prof. Univ.-Doz. Dr. Werner Schöny

(2000 - 2003)